Rimini liegt an der Spree

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Reportage, erschienen 2002 (in Würzburger – Magazin für Gestaltung)
Das Licht das die Diskokugel in der Mitte des Raumes reflektiert verliert sich in der Helligkeit, die durch die Fensterfront durchscheint. Das verwundert nicht, denn draußen ist sonniger Nachmittag, während drinnen Disko gefeiert wird. Seniorendisko. So wird zumindest dafür geworben. Wir sind in der Tanzschule Keller in Berlin-Steglitz und die Atmosphäre des Saals ist gleichzeitig anziehend als auch abstoßend. Die Tapete ist original aus den 70er Jahren in grün-schwarz mit großflächigen Silberfolienprägungen. In der Luft hängt ein feiner Geruch von Kernseife. Die Senioren zahlen 15 Mark Eintritt um hier zu sein, wovon 10 Mark für Getränkegutscheine sind. Und obwohl die meisten sich nur schwer mit ihrer Rente über Wasser halten können, kommen sie immer wieder. Für sie ist der Montag der wichtigste Tag der Woche.

Michael ist Pionier der ersten Stunde. Er ist seit über 25 Jahren DJ Michael. Jeden Montag Nachmittag. Er hat das Lächeln eines niederländischen Showmoderators und die Routine eines Kaffeefahrtsverkaufsleiters. Unmöglich zu sagen, wie oft er sie schon gehört hat, seine Hits, die so auffällig oft Inselnamen im Titel tragen. Wie »Die Palmen von Hawaii«, »Der Strand von Ibiza« oder »Die Sonne von Mallorca«. Es geht um Reise, um Sehnsüchte, um Erinnerungen, die irgendwo vergraben liegen. Diese Erinnerungen bewirken auch, dass sich die Tanzfläche innerhalb weniger Minuten füllt, mit Pärchen, die sich aneinander drücken. Der Frauenüberschuß ist immens und so tanzen größtenteils Damenpaare unter der Diskokugel. Ihre Kleider sind mit bunten Blumenmustern bedruckt, und so mutet die Tanzfläche wie eine wogende Blumenwiese an. DJ Michael weiß, wie er die Wiese zum wogen bringt. Zwischen den Musikblöcken, die drei oder vier Lieder lang sind, moderiert er Unterhaltungs- und Gewinnspielchen und verteilt er gönnerisch Preise, die man bei Lotto und Bingo gewinnen kann. Meistens rote Rosen. Auf seinem DJ-Pult steht ein kleines Losziehungsrad aus Plastik. Er dreht an der Kurbel, und dann fällt eine Kugel raus und jemand freut sich dann. Man kann nur schätzen, wie viele Menschen Michael in seiner Rolle als DJ, Entertainer und Organisator schon glücklich gemacht hat. Heute sind es jedenfalls weniger als üblich, denn nicht alle sind gekommen am ersten warmen Frühlingstag im Jahr.

Michael ist mit seinen 54 Jahren das jüngste Mitglied einer Gemeinschaft, die sich untereinander kennt und im Laufe der Zeit kaum verändert. »Mal kommt ein Neuer dazu, mal stirbt einer weg, so ist das eben bei den alten Leuten« sagt Emma, 80, und sie sieht aus, als wüßte sie wovon sie spricht. Sie erzählt von Menschen die sie gekannt hat, von Männer die sich hierher verirrt haben. »Wenn hier mal ein Mann auftaucht, und das passiert alle Jubeljahre, dann können sie sicher sein, dass der wie ein Bahnhofsklo ist; entweder beschissen oder besetzt.« Emma kommt schon lange nicht mehr her, um einen Lebensgefährten kennenzulernen, sondern, um den Freundeskreis zu treffen, zu tanzen, zu quatschen, Spaß zu haben. So wie alle hier. Es gibt sowieso nur drei Männer hier neben dem DJ und alle sind in festen Händen. Hubertus ist 70 Jahre alt und war Single als er das erste Mal hierher kam. »Nachdem ich das erste Mal hier war wollte ich eigentlich nicht wieder kommen« erinnert er sich »Die Damen waren alle so erdrückend lieblich zu mir, dass ich Angst bekommen habe.« Als er das nächste Mal doch kam, hatte er einen Tisch ganz für sich alleine. Nur Tamara, die für die Platzreservierungen jeder Veranstaltung zuständig ist, saß neben ihm. Seitdem sind die beiden ein Paar.
In den Tanzpausen sitzt Hubertus alleine an seinem Tisch, während Tamara zwischen DJ-Pult und den Senioren hin und her pendelt. Hubertus ißt Erdnüsse und Raucht Zigaretten aus einem silbernen Etui, auf dessen Innenseite Bilder von Tamara und Ihm kleben. Hubertus war Maurer und liest jetzt viel. Er kennt die Namen und Daten der Weltgeschichte aus dem Stegreif. Die Seniorendisko ist seit vier Jahren fester Bestandteil seines Lebens. „Ich komme mit Tamara zum Tanzen hierher, der Rest interessiert mich nicht." sagt er. Tamara ist die inoffizielle Chefin der Tanzveranstaltung. Schon seit über 15 Jahren kümmert sie sich um Organisation, ist Ansprechpartner, und verteilt die Sitzplatzkarten vor der Veranstaltung. Sie kennt ihre Damen und separiert gewissenhaft diejenigen, die sich mögen, von denjenigen, die sich nicht leiden können. »Warten sie nur, bis sie mich singen hören.« sagt Tamara.

In den Tanzpausen sitzt Hubertus alleine an seinem Tisch, während Tamara zwischen DJ-Pult und den Senioren hin und her pendelt. Hubertus ißt Erdnüsse und Raucht Zigaretten aus einem silbernen Etui, auf dessen Innenseite Bilder von Tamara und Ihm kleben. Hubertus war Maurer und liest jetzt viel. Er kennt die Namen und Daten der Weltgeschichte aus dem Stegreif. Die Seniorendisko ist seit vier Jahren fester Bestandteil seines Lebens. „Ich komme mit Tamara zum Tanzen hierher, der Rest interessiert mich nicht." sagt er. Tamara ist die inoffizielle Chefin der Tanzveranstaltung. Schon seit über 15 Jahren kümmert sie sich um Organisation, ist Ansprechpartner, und verteilt die Sitzplatzkarten vor der Veranstaltung. Sie kennt ihre Damen und separiert gewissenhaft diejenigen, die sich mögen, von denjenigen, die sich nicht leiden können. »Warten sie nur, bis sie mich singen hören.« sagt Tamara.

Kurz darauf ist es auch schon so weit. DJ Michael ergreift das Mikrofon: »Sie stand schon auf vielen großen Bühnen der Welt, aber Ihre Wurzeln hat sie hier bei uns, in der Tanzschule Keller in der Rheinstrasse 44. Wir freuen uns auf Tamara. Bitte Applaus.« Tamara steht in der Mitte des Saals. Sie trägt eine Kunstfaserbluse, bedruckt mit dem Motiv einer mediterranen Hafenstadt mit Palmen. Ihr Gesicht wird von dunkelgrauen Locken eingerahmt, vor den Augen sitzt eine große Brille. Nachdem sie einen Witz zur Auflockerung erzählt hat, ist es kurze Zeit still im Saal. Dann aber, taktgleich zum Einsatz der Musik fängt Tamara an »Rote Rosen, Rote Rosen, sagen dir, dass ich dich liebe...« Oft schon hat Tamara hier gesungen, aber dennoch fixieren alle gebannt die Frau mit der großen Brille. Und diese genießt das.

Der Bann wird gebrochen als DJ Michael Howard Carpendale vom Band einspielt und den letzten Musikblock ankündigt. Es ist zehn vor fünf, als mich eine 93-jährige Dame auf die Schulter klopft und mich zum Tanz auffordert. Lächeln nehme ich die Damenwahl an und wir mischen uns unter die Pärchen. Aber schon nach einigen Takten bemerkt sie: »Ich seh schon Sie können das nicht, junger Mann. Lassen Sie mich mal führen.« Und so klappt es auch. Bis es dann 17 Uhr ist und DJ Michael das Ende der Tanzveranstaltung verkündet. »Das wars mal wieder für heute meine Freunde, ich hoffe wir sehen uns nächste Woche wieder.« Der Saal leert sich innerhalb von fünf Minuten und ich verlasse als letzter die Tanzschule Keller. Draußen scheint die Sonne und junge Mädchen stehen vor den Boutiquen in der Rheinstrasse. Ich habe einen Ohrwurm. Ich summe „Wie all die Jahre vergehen..." vor mich hin, als ich mich langsam auf den Weg zur U-Bahn mache.

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